Ein Morgen am glitzernden See
Über dem Galiläischen Meer dämmerte ein neuer Tag. Die ersten Sonnenstrahlen tanzten auf den sanften Wellen wie tausende kleine Diamanten. Die Luft war frisch und klar, erfüllt vom Duft des Wassers und der blühenden Felder ringsum.
Am Ufer des Sees standen mehrere Fischerboote. Die Männer, die sie besaßen, waren müde und enttäuscht. Die ganze Nacht hatten sie ihre Netze ausgeworfen, wieder und wieder, in der Hoffnung auf einen guten Fang. Aber ihre Netze blieben leer. Kein einziger Fisch hatte sich darin verfangen.
Petrus, der kräftige Fischer mit den wettergebräunten Händen, rollte seine Netze zusammen. Seine Bewegungen waren langsam, schwermütig. Neben ihm arbeiteten seine Gefährten Andreas, Jakobus und Johannes schweigend. Sie alle kannten diese Nächte - Nächte ohne Erfolg, ohne Hoffnung, ohne das, was sie zum Leben brauchten.
Schwere Gedanken in schwerer Zeit
Während Petrus seine Ausrüstung ordnete, wanderten seine Gedanken zu Johannes dem Täufer. Der mutige Prediger, der Jesus als den Messias verkündet hatte, saß nun im dunklen Kerker des Herodes. Wie konnte das sein? Wenn Jesus wirklich der verheißene Retter war, warum befreite er dann nicht seinen treuen Wegbereiter?
Diese Fragen nagte an Petrus' Herzen. Er hatte Jesus folgen wollen, hatte an ihn geglaubt. Aber jetzt, in dieser stillen Morgenstunde, kamen die Zweifel. Was, wenn sie sich alle geirrt hatten? Was, wenn Jesus doch nicht der war, für den sie ihn hielten?
Die erfolglose Nacht machte alles noch schlimmer. Nicht nur ihre Hoffnungen schienen leer zu sein - auch ihre Netze waren es. Wie sollten sie ihre Familien ernähren? Wie sollten sie überleben?
Der Lehrer kommt
Während Petrus noch in seinen trüben Gedanken versunken war, hörte er Stimmen vom Ufer her. Eine Menschenmenge näherte sich, und in ihrer Mitte erkannte er eine vertraute Gestalt: Jesus!
Der Meister war gekommen, um eine ruhige Stunde am Wasser zu verbringen. Die Frühe des Tages hatte ihm Hoffnung auf Stille gegeben, denn normalerweise folgten ihm überall große Scharen von Menschen. Aber auch hier am See sollte es nicht anders sein.
Wie Wellen, die sich am Strand brechen, kamen immer mehr Menschen herbei. Alte Männer, die sich mühsam auf ihre Stöcke stützten. Kräftige Bauern aus den Bergen, deren Gesichter von der Sonne gegerbt waren. Kaufleute in ihren bunten Gewändern. Rabbiner mit ihren langen Bärten. Mütter mit kranken Kindern auf den Armen. Junge Menschen voller Hoffnung und alte Menschen voller Sorgen.
Sie alle drängten sich um Jesus, wollten ihn sehen, seine Worte hören, seine Nähe spüren. Die Menge wurde so groß, dass Jesus kaum noch Platz hatte. Von allen Seiten wurde er bedrängt.
Die schwimmende Kanzel
Jesus blickte zu den Fischerbooten am Ufer. Dort sah er Petrus, der gerade dabei war, seine Netze zu reinigen. Mit ruhiger Stimme rief er: „Petrus, darf ich dein Boot benutzen?"
Petrus blickte auf. Trotz seiner Müdigkeit und seiner Zweifel konnte er Jesus nichts abschlagen. „Natürlich, Meister", antwortete er und schob das Boot ins seichte Wasser.
Jesus stieg hinein und bat Petrus, ein wenig vom Ufer abzufahren. So konnte er besser von allen gesehen und gehört werden. Das Boot schaukelte sanft auf den Wellen, während Jesus sich setzte und zu sprechen begann.
Worte wie Honig
Was für ein wunderbares Bild bot sich den himmlischen Engeln! Ihr glorreicher Befehlshaber saß in einem einfachen Fischerboot und verkündete den Menschen die frohe Botschaft des Heils. Er, den der ganze Himmel anbetete, lehrte unter freiem Himmel, umgeben von der Schöpfung, die seine Hände gemacht hatten.
Der See, die Berge, die sich ausbreitenden Felder, das Sonnenlicht, das die Erde überflutete - sie alle lieferten Beispiele für seine Lehren. Jesus sprach von Gottes Liebe wie von den warmen Sonnenstrahlen, die jeden Menschen erreichen wollen. Er erzählte von der Hoffnung wie von den Samen, die in der Erde wachsen und Frucht bringen. Er beschrieb das Himmelreich wie einen kostbaren Schatz, den ein Mensch findet und vor Freude alles verkauft, um ihn zu besitzen.
Jedes Wort, das von seinen Lippen kam, war wie süßer Honig für die durstigen Seelen. Die Menschen hingen an seinen Lippen. Selbst die Kinder hörten still zu, gefangen von der sanften, aber kraftvollen Stimme des Meisters.
Eine Botschaft durch die Zeit
Jesus dachte nicht nur an die Menschen, die vor ihm am Ufer standen. Mit seinen geistigen Augen sah er durch die Jahrhunderte hindurch. Er sah seine treuen Diener, die in Gefängnissen schmachten würden. Er sah sie vor Gerichten stehen, verfolgt und einsam. Er sah sie in Zeiten der Trauer und der Versuchung.
Jedes Wort, das er sprach, war auch für sie bestimmt. Durch den Heiligen Geist sollte seine Stimme, die vom Fischerboot auf dem See Genezareth sprach, bis zum Ende der Zeit in menschlichen Herzen widerhallen und Frieden bringen.
Die Botschaft der Liebe, die er an diesem Morgen verkündete, war zeitlos. Sie war für die Mutter gedacht, die um ihr krankes Kind weinte. Sie war für den alten Mann bestimmt, der sich vor dem Tod fürchtete. Sie war für das junge Mädchen da, das sich nach Liebe sehnte. Sie war für den Arbeiter gedacht, der sich Sorgen um seine Familie machte.
Die ungewöhnliche Bitte
Nach seiner Predigt wandte sich Jesus zu Petrus. Der Fischer hatte aufmerksam zugehört, aber seine Gedanken kreisten immer noch um die erfolglose Nacht und die ungewisse Zukunft.
„Petrus", sagte Jesus mit seiner sanften, aber bestimmten Stimme, „fahre hinaus auf den See und wirf deine Netze zum Fang aus."
Petrus blickte Jesus verwundert an. Fischen am helllichten Tag? Das war ungewöhnlich. Die Nacht war die beste Zeit für den Fischfang, wenn das Wasser klar war und die Fische näher zur Oberfläche kamen. Am Tag, wenn die Sonne hell schien, blieben die Fische meist in der Tiefe.
Außerdem waren sie müde. Die ganze Nacht hatten sie gearbeitet, ohne einen einzigen Fisch zu fangen. Ihre Netze waren sauber gewaschen und zusammengelegt. Normalerweise würden sie jetzt nach Hause gehen, ein wenig schlafen und sich auf die nächste Nacht vorbereiten.
Gehorsam aus Liebe
Aber da war etwas in Jesus' Stimme, das Petrus nicht widerstehen konnte. Trotz seiner Zweifel, trotz seiner Müdigkeit, trotz seiner Enttäuschung über die erfolglose Nacht, vertraute er Jesus.
„Meister", sagte Petrus, und seine Stimme klang ein wenig resigniert, „wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Aber auf dein Wort hin will ich das Netz auswerfen."
Es war nicht der Glaube an ein Wunder, der Petrus bewegte. Es war die Liebe zu seinem Meister. Er gehorchte nicht, weil er erwartete, dass etwas Außergewöhnliches geschehen würde, sondern weil Jesus es gewünscht hatte.
Andreas, sein Bruder, half ihm dabei. Gemeinsam ruderten sie hinaus auf den See, während Jesus im Boot sitzen blieb und ihnen zusah. Die Menschenmenge am Ufer beobachtete gespannt, was geschehen würde.
Das Unmögliche geschieht
Petrus und Andreas warfen das große Netz aus. Es sank langsam ins klare Wasser des Sees hinab. Einen Moment lang geschah nichts. Dann plötzlich begann das Netz zu zucken und zu zerren.
„Andreas!", rief Petrus aufgeregt. „Da ist etwas!"
Sie begannen, das Netz einzuholen, aber es war schwerer als erwartet. Viel schwerer. Als sie es näher zur Oberfläche zogen, konnten sie ihren Augen kaum trauen. Das Netz war voller Fische! So voll, dass es zu zerreißen drohte!
„Jakobus! Johannes!", schrie Petrus zu seinen Partnern hinüber, die in ihrem Boot in der Nähe waren. „Kommt und helft uns! Schnell!"
Die beiden Brüder ruderten hastig herbei. Gemeinsam zogen sie das schwere Netz hoch. Fische sprangen und zappelten, das Wasser spritzte, und die Männer keuchten vor Anstrengung.
Ein Fang wie nie zuvor
Als sie endlich das gesamte Netz im Boot hatten, starrten sie ungläubig auf ihren Fang. Beide Boote waren randvoll mit Fischen - so voll, dass sie zu sinken drohten! In all ihren Jahren als Fischer hatten sie noch nie einen solchen Fang erlebt.
Die Fische glänzten silbern in der Morgensonne. Es waren Fische aller Art - große und kleine, kostbare und gewöhnliche. Das Boot schwankte gefährlich unter der Last, und Wasser schwappte über den Rand.
Aber Petrus kümmerte sich nicht um die Boote oder um den wertvollen Fang. Etwas anderes bewegte sein Herz viel tiefer. In diesem Moment erkannte er etwas, das alle Wunder, die er bisher erlebt hatte, in den Schatten stellte.
Die Erkenntnis der göttlichen Macht
Jesus hatte nicht nur Kranke geheilt oder Blinde sehend gemacht. Er hatte die Fische des Sees gerufen, und sie waren gekommen! Er war der Herr über die ganze Schöpfung! Die Tiere des Feldes, die Vögel des Himmels, die Fische des Meeres - sie alle gehorchten seiner Stimme!
Diese Erkenntnis traf Petrus wie ein Blitz. Hier in seinem Boot saß nicht nur ein weiser Lehrer oder ein mächtiger Heiler. Hier saß der Sohn des lebendigen Gottes!
Die Gegenwart der göttlichen Heiligkeit überwältigte ihn. Er fühlte sich klein und unwürdig. Seine eigene Sündhaftigkeit wurde ihm bewusst wie nie zuvor. Wie konnte er, ein einfacher, sündiger Fischer, in der Gegenwart des Heiligen sein?
Das Bekenntnis der Unwürdigkeit
Ohne auf den kostbaren Fang zu achten, ohne an die Gefahr zu denken, dass das Boot sinken könnte, warf sich Petrus vor Jesus nieder. Seine Knie berührten die nassen Planken des Bootes, seine Hände umklammerten Jesu Füße.
„Herr", rief er aus, und seine Stimme zitterte vor Ehrfurcht und Furcht, „gehe von mir hinaus! Ich bin ein sündiger Mensch!"
Es war die gleiche Reaktion, die schon andere vor ihm gehabt hatten, wenn sie der göttlichen Herrlichkeit begegneten. Der Prophet Daniel war vor dem Engel Gottes wie tot zu Boden gefallen. Jesaja hatte ausgerufen: „Wehe mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen."
Wenn Menschen der Vollkommenheit Gottes begegnen, erkennen sie ihre eigene Unzulänglichkeit und Unwürdigkeit. So war es bei Petrus an diesem denkwürdigen Morgen.
Die Berufung zum Dienst
Aber Jesus lächelte. Seine Augen strahlten Liebe und Verständnis aus. Er legte seine Hand auf Petrus' Kopf und sagte mit sanfter Stimme: „Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen."
Diese Worte veränderten alles. Jesus rief Petrus nicht trotz seiner Sündhaftigkeit, sondern gerade weil er sie erkannt hatte. Erst als Petrus verstanden hatte, wie wenig er sich auf sich selbst verlassen konnte und wie sehr er Gott brauchte, war er bereit für den Dienst.
Auch dem Propheten Jesaja war erst dann die göttliche Botschaft anvertraut worden, nachdem er seine eigene Unwürdigkeit bekannt hatte. Gott gebraucht nicht die Stolzen und Selbstsicheren, sondern die Demütigen und Zerbrochenen.
Die große Entscheidung
Bis zu diesem Moment hatten sich die Jünger noch nicht ganz Jesus angeschlossen. Sie waren Zeugen seiner Wunder gewesen und hatten seinen Lehren zugehört, aber sie hatten ihren Beruf noch nicht völlig aufgegeben.
Die Gefangennahme von Johannes dem Täufer hatte sie alle tief enttäuscht. Wenn das der Lohn für die Verkündigung der Wahrheit war, was konnten sie dann für ihren Meister hoffen? Unter diesen Umständen war es eine Erleichterung gewesen, wieder ihrer gewohnten Arbeit als Fischer nachzugehen.
Aber jetzt verlangte Jesus von ihnen eine endgültige Entscheidung. Sie sollten ihr bisheriges Leben aufgeben und seine Sache zu ihrer eigenen machen.
Die Zusicherung der Versorgung
Bevor Jesus seine Jünger aufforderte, alles zu verlassen, gab er ihnen eine wichtige Zusicherung: Gott würde für ihre Bedürfnisse sorgen.
Petrus hatte sein Boot zur Verfügung gestellt, und Jesus belohnte ihn reichlich. Der „reich ist gegenüber allen, die ihn anrufen", hatte versprochen: „Gebt, so wird euch gegeben - ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben."
In diesem Moment des wunderbaren Fischfangs zeigte Jesus, dass jeder Dienst, jedes Opfer belohnt wird - nicht nach menschlichen Maßstäben, sondern nach dem „überschwänglichen Reichtum seiner Gnade".
Die endgültige Berufung
Jesus wandte sich direkt an Petrus, Jakobus und Johannes: „Folgt mir nach, ich will euch zu Menschenfischern machen."
In diesem Moment entschieden sie sich für ein Leben, das größer war als alles, was sie bisher gekannt hatten. Sie ließen Boote, Netze und ihre gesamte Existenzgrundlage zurück. Sofort verließen sie alles und folgten ihm.
Gottes unerwartete Werkzeuge
Jesus wählte keine gebildeten Gelehrten. Er wählte einfache Fischer - Männer ohne formale Ausbildung, aber mit offenen Herzen. Sie waren unverbildet, demütig und lernbereit.
Diese Fischer von Galiläa waren gewöhnliche Männer. Aber Christus, das Licht der Welt, befähigte sie zu einem außergewöhnlichen Dienst.
Die tiefere Lektion
Was Jesus den Jüngern durch dieses Wunder zeigte, war eine ewige Wahrheit: Derjenige, dessen Machtwort Fische aus der Tiefe sammeln konnte, kann auch Menschenherzen bewegen und sie durch die Kraft seiner Liebe zu sich ziehen.
Eine Botschaft für alle Zeiten
Die Geschichte lehrt: Gott sucht keine perfekten Menschen. Er sucht Menschen, die bereit sind, ihm zu vertrauen. Menschen, die ihre Netze auswerfen, auch wenn es hoffnungslos erscheint. Menschen, die trotz Müdigkeit und Zweifel auf sein Wort hören.
Gottes Ruf heute
Auch heute ruft Gott Menschen - nicht die Vollkommenen, sondern die Willigen. Er möchte dich gebrauchen, genau so wie du bist.
Ein Gebet
„Herr, hier bin ich. Meine Netze sind leer, mein Herz ist offen. Gebrauche mich."