In Ägypten herrschte eine Zeit voller Freude und Wohlstand. Die Sonne strahlte hell über die weiten Felder, und die Ernte war reicher als jemals zuvor. Nicht weit entfernt ragten uralte Pyramiden in den Himmel – stille Zeugen aus längst vergangener Zeit. Körbe voller goldgelber Weizen rollten täglich in die Vorratshöfe, und die Menschen jubelten: „Schaut nur! Die Felder stehen im Überfluss! So etwas haben wir noch nie erlebt!“
Kinder liefen lachend hinter den Erntewagen her, während die Erwachsenen die prallen Ähren bestaunten. Alle freuten sich über die reichen Ernten. Nur einer blieb nachdenklich: Joseph. Denn er wusste, dass schwere Zeiten bevorstanden. Er erinnerte sich an die Träume des Pharaos – diese Träume waren eine Botschaft von Gott: „Es werden sieben gute Jahre kommen, doch danach folgen sieben Jahre des Hungers!“
Mit fester Stimme sprach Joseph zu den Arbeitern: „Hört mir gut zu! Wir müssen vorsorgen. Baut riesige Speicherhäuser, so groß wie wir sie noch nie gesehen haben. Füllt sie mit Weizen, solange die Ernte gut ist. Es darf kein einziges Korn verloren gehen!“
Die Männer legten sich mächtig ins Zeug. Kinder beobachteten, wie hoch die Speicherhäuser wuchsen und wie die Männer schwitzend Säcke voller Korn stapelten. „Woher weiß Joseph, dass das nötig ist?“ flüsterten manche. Joseph hob den Blick zum Himmel und dachte: „Gott weiß, was kommt. Ihm will ich vertrauen.“
Hunger breitet sich aus
Die sieben Jahre des Überflusses vergingen rasch, und dann kam die Zeit, vor der Joseph gewarnt hatte. Der Himmel über Ägypten wurde wolkenlos und glühend heiß. Die Sonne brannte unerbittlich auf die Felder und viele Wochen lang fiel kein einziger Tropfen Regen. Die Pflanzen vertrockneten, die Flüsse wurden immer schmaler, und die Tiere suchten vergeblich nach frischem Wasser.
„Es ist furchtbar! Unsere Vorräte sind fast leer!“, klagten die Menschen und liefen verzweifelt umher. Manche hielten nur noch leere Schalen in den Händen.
Auch in anderen Ländern knurrten die Bäuche und die Menschen suchten vergeblich nach etwas Essbarem. Doch in Ägypten mussten die Menschen nicht hungern. Josephs Vorratskammern waren gut gefüllt.
Joseph ließ die gewaltigen Speicher öffnen. Arbeiter trugen Körbe voller Korn hinaus, und bald versammelten sich Menschen aus allen Himmelsrichtungen vor den Kornkammern. Sie knieten vor Joseph nieder und flehten: „Hilf uns! Wir haben nichts mehr zu essen!“
Joseph hob die Hände und sprach: „Keine Angst, ihr Lieben! Gott hat an alles gedacht. Es wird für jeden reichen.“
Sein Plan ging auf. Bald nannten die Leute Joseph ihren Retter. Doch Joseph sagte immer: „Nicht ich habe das getan – sondern Gott hat uns geholfen.“
Jakob schickt seine Söhne nach Ägypten
In Kanaan, wo Jakob und seine Familie lebten, wurde die Not immer größer. Die Brunnen waren fast leer, das Korn in den Vorratskammern ging zur Neige. Mit knurrenden Mägen liefen die Kinder zu ihren Müttern und fragten mit leiser Stimme: „Wann gibt es endlich wieder Brot?“
Jakob saß nachdenklich vor seinem Zelt. Er sah hinaus auf die staubigen Felder und das karge Land. Er spürte: So konnte es nicht weitergehen. Schließlich rief er seine Söhne zu sich. „Ich habe gehört, dass es in Ägypten noch Getreide gibt. Geht dorthin und kauft uns etwas, bevor wir alle verhungern.“
Die zehn älteren Brüder hörten betroffen zu. Sie wussten, wie gefährlich so eine Reise sein konnte – doch es blieb ihnen keine andere Wahl.
Doch Jakob hatte eine Bedingung: „Benjamin bleibt hier bei mir. Ich habe Joseph verloren … ich könnte es nicht ertragen, auch ihn noch zu verlieren.“
So brachen die Brüder auf – mit der Hoffnung, genug Korn für die Familie zu finden. Jakob blieb zurück und sah ihnen lange nach, während er leise zu Gott betete.
Das unbekannte Gesicht des Herrschers
Nach einer langen und beschwerlichen Reise erreichten die Brüder endlich Ägypten. Dort herrschte ein reges Treiben. Staub wirbelte durch die Straßen. Händler riefen laut durch die Gegend und Karren voller Getreidesäcke rumpelten vorbei. Menschen aus verschiedenen Ländern standen Schlange, um Getreide zu kaufen. Ein wenig ängstlich drängten sich die Brüder durch die fremde Menge.
„Wo müssen wir hin?“, fragte einer der Brüder unsicher. Ein ägyptischer Soldat führte sie zum Palast des mächtigen Manns, der über das Korn bestimmte. Als die Brüder in die prächtige Halle traten, schlug ihnen das Herz bis zum Hals. Vor ihnen saß ein Mann in edlen Gewändern. Gold und Purpur funkelten auf seinem Gewand, und auf dem Kopf trug er eine prächtige Kopfbinde. Sein Blick war streng und undurchdringlich
Was die Brüder nicht wussten: Dieser Mann war ihr Bruder Joseph! Doch keiner von ihnen ahnte, wer dieser vornehme Mann war, denn er trug nun die Kleidung eines ägyptischen Ministers. Joseph jedoch erkannte sie sofort. Sein Herz schlug heftig, und Erinnerungen stürmten auf ihn ein: die dunkle Nacht, der Brunnen, ihre harten Worte.
„Da sind sie … meine Brüder …“, dachte er, doch er hielt sich zurück. Mit fester Stimme sagte er: „Wer seid ihr? Warum seid ihr hier?“ Die Brüder fielen erschrocken auf die Knie. „Herr, wir kommen aus Kanaan. Wir sind hier, um Getreide zu kaufen“, antworteten sie ehrfürchtig.
Joseph sah sie prüfend an und sprach dann schroff: „Ihr seid Spione! Ihr wollt sehen, wo unser Land schwach ist!“ Die Brüder erstarrten. „Nein, Herr! Das stimmt nicht! Wir sind einfache Männer und Brüder. Wir wollen nur Nahrung für unsere Familien kaufen!“
Joseph wollte mehr über sie erfahren. Er wollte wissen, ob sie sich verändert hatten. Daher beschloss er, sie auf die Probe zu stellen.
Eine harte Probe
Mit ernster Miene befahl Joseph: „Bringt sie ins Gefängnis!"
„Dort können sie über ihre Worte und Taten nachdenken“, fügte er streng hinzu.
Drei Tage saßen die Brüder im dunklen Gefängnis. Kaum ein Laut war zu hören. Immer wieder dachten sie an das, was sie einst getan hatten – und die Schuld drückte schwer auf ihre Herzen.
„Gott straft uns für das, was wir Joseph damals angetan haben! Wie konnten wir nur so grausam zu ihm sein?“, flüsterte einer bedrückt.
Ruben seufzte tief. „Ich habe euch damals gewarnt … aber ihr wolltet nicht hören.“
Die Brüder schwiegen. Kein Wort konnte das wieder gutmachen, was geschehen war.
Am dritten Tag ließ Joseph sie wieder zu sich bringen. „Wenn ihr wirklich aufrichtig seid, dann beweist es!“, sagte er. „Einer von euch bleibt hier als Geisel. Die anderen dürfen zurück nach Kanaan und bringen Getreide für ihre Familien mit. Doch ich will euren jüngsten Bruder sehen. Erst dann werde ich euch glauben!“
Die Brüder tauschten besorgte Blicke und sahen sich verzweifelt an. Benjamin holen? Das würde ihren Vater zutiefst treffen. Aber sie sahen keinen anderen Ausweg.
Ein schockierender Fund
Traurig und nachdenklich brachen die Brüder auf. Simeon blieb als Geisel in Ägypten zurück. Die schweren Säcke voller Korn schleppten sie auf ihre Tiere und machten sich auf den langen Heimweg.
Unterwegs griff einer der Brüder in seinen Sack, um etwas von dem Getreide zu nehmen. Doch kaum hatte er den Sack geöffnet, riss er die Augen auf: Da lag sein Geld – mitten im Korn!
„Mein Geld ist noch hier! Seht nur!“ rief er erschrocken. Schnell öffneten die anderen ihre Säcke – und auch dort lag das Geld, das sie doch längst bezahlt hatten. Die Brüder starrten einander entsetzt an.
„Was bedeutet das? Warum ist uns das passiert? Warum lässt Gott so etwas zu?“ flüsterte einer voller Angst. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihren Herzen aus. Würde man sie nun für Diebe halten?
Die Heimreise wurde schwerer und bedrückender mit jedem Schritt.
Die Verzweiflung Jakobs
Als die Brüder endlich Kanaan erreichten, eilte die ganze Familie ihnen entgegen. „Was ist geschehen?“ fragte Jakob besorgt, als er ihre müden Gesichter sah. Die Brüder erzählten ihm von der Begegnung mit dem hohen ägyptischen Herrn und der schweren Prüfung.
„Simeon ist gefangen. Und dieser Mann verlangt, dass wir Benjamin mitbringen. Sonst bekommen wir kein weiteres Korn“, erklärte Juda mit zitternder Stimme.
Jakob vergrub das Gesicht in den Händen. „Joseph ist tot, und jetzt ist auch Simeon fort … und ihr wollt mir auch noch Benjamin nehmen? Warum muss ich all das ertragen?“ Sein Schmerz war tief, und seine Worte klangen voller Kummer.
Mit gesenkten Köpfen standen die Brüder da. Sie wussten nicht, wie sie ihren Vater trösten konnten. Doch sie spürten es: Die Vorräte reichten nicht mehr lange. Und mit jedem Tag wuchs die Sorge um die hungernden Kinder.
Die Rückkehr nach Ägypten mit Benjamin
Wochen vergingen, und die Vorratskammern waren fast leer. Nur noch ein paar Körner raschelten auf dem Boden der Säcke. Schließlich sagte Jakob leise: „Geht noch einmal nach Ägypten und bringt uns neues Getreide mit.“ Doch Juda erinnerte ihn: „Vater, wir können nicht ohne Benjamin gehen. Der Herrscher hat uns deutlich gesagt: ‚Kommt mir nicht mehr unter die Augen, wenn euer Bruder nicht dabei ist!‘“
Jakob zögerte und sah Benjamin an. Tränen standen ihm in den Augen. „Er ist mein geliebter Sohn! Wie soll ich das überleben, wenn ihm etwas zustößt?“ Doch Juda legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter: „Ich bürge für ihn. Wenn ihm etwas geschieht, werde ich es mir mein Leben lang nicht verzeihen. Aber wenn wir jetzt nicht handeln, werden wir alle verhungern.“
Schweren Herzens stimmte Jakob schließlich zu. Er packte seinen Söhnen kostbare Geschenke ein – ein wenig Balsam, Honig, Nüsse und Myrrhe – und schickte sie mit einem Segen auf den Weg. „Möge Gott euch beschützen. Möge er Simeon und Benjamin wohlbehalten zu mir zurückbringen.“
Das Wiedersehen mit Joseph
Nach einer langen Reise erreichten die Brüder endlich wieder Ägypten. Sie wurden sofort zu Joseph geführt. Kaum fiel sein Blick auf Benjamin, wurde Josephs Herz ganz warm. „Er ist wirklich hier!“, dachte er gerührt. Am liebsten hätte er ihn gleich an sich gedrückt. Doch noch musste er sich beherrschen.
„Bringt die Männer in mein Haus“, befahl Joseph den Dienern. „Dort soll ein Festmahl für sie vorbereitet werden.“
Als die Brüder das große, prächtige Haus betraten, wurden ihre Schritte zögerlich. Sie schauten sich misstrauisch um. „Bestimmt will er uns eine Falle stellen“, flüsterte einer. „Er wird uns das mit dem Geld anhängen – und dann macht er uns zu Sklaven!“ Den Brüdern wurde ganz mulmig zumute.
Der Haushofmeister bemerkte ihre Unruhe. Er lächelte und sprach beruhigend: „Habt keine Angst. Euer Gott hat dafür gesorgt, dass ihr euer Geld wiederbekommen habt. Ich habe euer Geld bekommen. Es ist alles in Ordnung.“
Da atmeten die Brüder erleichtert auf. Und als Simeon endlich aus dem Gefängnis geholt wurde, fiel ihnen ein Stein vom Herzen. Sie umarmten ihn freudig, und die Anspannung ließ ein wenig nach.
Trotzdem blieb in ihren Herzen ein flaues Gefühl. Was hatte dieser mächtige Herrscher wirklich vor? Noch immer wussten sie es nicht.
Eine Überraschung beim Festmahl
Beim Festmahl erlebten die Brüder eine seltsame Überraschung. Sie wurden der Reihe nach genau nach ihrem Alter an den Tisch gesetzt. „Wie kann er das wissen?“ flüsterte einer erstaunt. Die Brüder tauschten verwirrte Blicke. Niemand konnte sich das erklären.
Noch seltsamer war, dass Benjamin fünfmal so viel Essen erhielt wie die anderen. Die Diener brachten ihm Berge von Speisen und köstliche Früchte. Joseph beobachtete die Brüder ganz genau – doch diesmal sah Joseph keinen Neid in den Blicken seiner Brüder. Sie aßen friedlich miteinander und unterhielten sich freundschaftlich.
„Sie sind nicht mehr dieselben wie damals“, dachte Joseph. „Vielleicht haben sie sich wirklich verändert.“ Doch um sicherzugehen, plante er eine letzte Prüfung.
Die letzte Prüfung
Am nächsten Morgen bereiteten sich die Brüder auf die Heimreise vor. Ihre Säcke waren mit Korn gefüllt, und die Tiere waren gut versorgt. Mit einem Gefühl der Erleichterung verließen sie die Stadt. Doch kaum hatten sie die Stadt hinter sich gelassen, tauchten plötzlich Soldaten auf und versperrten den Weg.
Der Hausverwalter trat vor und rief streng: „Warum habt ihr den silbernen Becher meines Herrn gestohlen?“ Die Brüder waren fassungslos. „Was? Gestohlen? Das würden wir niemals tun! Wenn du den Becher findest, soll der Schuldige sterben, und wir anderen werden deine Sklaven sein“, erklärte einer mutig.
„Gut. Dann lasst uns nachsehen“, sagte der Verwalter kalt. Ein Diener begann, die Säcke zu durchsuchen – einer nach dem anderen. Als er Benjamins Sack öffnete, leuchtete darin der silberne Becher! Die Brüder starrten entsetzt auf den Fund. Ein Schrei der Verzweiflung erfüllte die Luft. „Nein! Das kann nicht sein!“ Juda zerriss vor Kummer sein Gewand. „Gott prüft uns aufs Härteste!“, murmelte er niedergeschlagen.
Juda tritt für Benjamin ein
Die Brüder wurden zurück zum Palast geführt. Sie fielen vor Joseph auf die Knie und baten verzweifelt um Gnade. „Wir sind unschuldig! Was können wir nur tun, um es wiedergutzumachen?“ flehte Juda. Joseph sprach streng: „Derjenige, bei dem der Becher gefunden wurde, bleibt hier als mein Sklave. Die anderen dürfen gehen.“
Doch Juda fasste all seinen Mut zusammen und trat vor. „Bitte, Herr, höre mich an“, begann er eindringlich. „Unser Vater ist ein alter Mann. Benjamin ist das letzte Kind seiner geliebten Frau Rahel. Wenn wir ohne ihn heimkehren, wird unser Vater vor Kummer sterben. Ich habe ihm geschworen, dass ich Benjamin zurückbringe. Lass mich an seiner Stelle dein Sklave sein! Aber bitte, lass den Jungen frei!“
Joseph war tief berührt. In diesen Worten spürte er, wie sehr sich seine Brüder verändert hatten. Sie bereuten ihr früheres Tun und hatten gelernt, füreinander einzustehen. Sie waren bereit, ihr eigenes Leben für das Wohl ihrer Familie zu opfern. Tränen traten ihm in die Augen. Jetzt war der Moment gekommen, dass seine Brüder die Wahrheit erfahren.
Die große Offenbarung
Joseph schaffte es nicht mehr, seine Gefühle zurückzuhalten und konnte sich nicht mehr beherrschen. „Alle hinaus!“ befahl er den Dienern mit bebender Stimme. Die Brüder blickten sich verwundert an. Warum sollten alle hinaus? Was hatte das zu bedeuten? Sobald der Raum leer war, trat Joseph vor seine Brüder und rief unter Tränen: „Ich bin euer Bruder Joseph! Lebt mein Vater noch?“
Die Brüder erstarrten. Sie konnten nicht glauben, was sie da hörten. Joseph? Der mächtige Herrscher Ägyptens sollte ihr Bruder sein? Der, den sie vor so vielen Jahren in die Sklaverei verkauft hatten? Ihnen wurde schwindelig vor Scham und Angst. „Das kann nicht sein …“ flüsterte einer von ihnen leise.
Doch Joseph trat näher und sprach sanft: „Ja, ich bin es. Der Bruder, den ihr verkauft habt. Aber macht euch keine Sorgen und seid nicht traurig. Es war Gottes Plan – er hat alles so gelenkt, damit ich euch und viele andere retten kann.“
Die Brüder schauten ihn mit Tränen in den Augen an. Dann brachen alle Dämme. Sie stürzten auf Joseph zu und umarmten ihn. Benjamin weinte an seiner Schulter, und Joseph weinte mit ihm. All die Jahre der Trennung spielten plötzlich keine Rolle mehr. Endlich waren sie wieder vereint.
Die Rückkehr zu Jakob
Joseph bereitete die Brüder auf ihre Rückkehr vor. Er ließ ihnen reichlich Getreide, Kleidung und Geschenke geben. Doch bevor sie aufbrachen, warnte er sie mit einem Lächeln: „Streitet euch nicht auf dem Weg!“
Die Heimreise verlief voller Aufregung und Vorfreude. Als sie endlich Kanaan erreichten, eilte Jakob herbei. „Was ist geschehen? Ihr seid alle zurück? Wo ist Benjamin?“ rief er voller Sorge.
Juda trat vor und sagte mit strahlendem Gesicht: „Vater, Joseph lebt noch! Er ist der Herrscher über ganz Ägypten!“
Jakob konnte kaum fassen, was er hörte. „Joseph? Lebt noch? Das … das kann nicht sein …“ Er konnte es nicht glauben. Doch als er die vielen Wagen und Geschenke sah, fiel er vor Freude auf die Knie. „Mein Sohn lebt! Ich will Joseph noch einmal sehen, solange ich noch lebe!“
Das Wiedersehen voller Tränen
In Kanaan herrschte immer noch große Hungersnot. Deshalb führte Gott Jakob mit seiner ganzen Familie und all ihren Tieren und Habseligkeiten nach Ägypten. Die Reise war lang und beschwerlich. Über staubige Wege und unter der heißen Sonne zogen sie mit ihren Wagen dahin. Doch mit jedem Schritt wuchs in Jakobs Herzen die Hoffnung: Bald würde er seinen lange vermissten Sohn endlich wiedersehen.
Als sie das Land Gosen erreichten, wartete Joseph schon auf sie. Kaum erblickte Jakob ihn, liefen ihm die Tränen übers Gesicht. „Joseph!“ rief er aus. Joseph rannte auf ihn zu, und sie schlossen sich fest in die Arme. Beide weinten vor Glück. Jakob flüsterte: „Nun kann ich in Frieden sterben, denn ich habe dein Gesicht noch einmal gesehen.“
Doch Gott hatte noch viele gute Jahre für Jakob vorgesehen. Joseph kümmerte sich liebevoll um seinen Vater und die ganze Familie. In Gosen fanden sie ein neues Zuhause. Die Felder im neuen Land standen voll goldener Körner, und niemand musste mehr Hunger leiden.
Eine Familie in Frieden
Die Brüder, die sich früher oft gestritten und neidisch angeschaut hatten, lebten nun in Harmonie zusammen. Joseph war nicht mehr der Bruder, auf den sie früher neidisch gewesen waren, sondern der geliebte Retter ihrer Familie.
Am Abend saßen sie oft gemeinsam am Feuer und erzählten Geschichten aus ihrer Kindheit. „Weißt du noch, wie wir uns damals über Josephs große Träume geärgert haben?“ meinte einer der älteren Brüder schmunzelnd und zwinkerte Ruben zu.
Joseph blickte sie lächelnd an. „Ja,“ sagte er, „Gott hatte einen guten Plan für uns alle. Auch wenn der Weg manchmal schwer war, hat er uns nie verlassen.“
Jakobs letzter Segen
Als Jakob spürte, dass seine Zeit gekommen war, rief er alle seine Söhne an sein Sterbebett. Leise sprach es sich im Haus herum: „Kommt schnell, Vater will uns noch einmal sprechen.“ Einer nach dem anderen trat in das Zimmer. Rings um Jakobs Lager standen die Brüder – die Blicke ernst, mancher wischte sich verstohlen eine Träne aus den Augen.
Mit sanfter, aber bestimmter Stimme begann Jakob: „Versammelt euch, meine Söhne, damit ich euch sagen kann, was euch in den kommenden Zeiten begegnen wird.“ Dann legte er jedem von ihnen die Hände auf den Kopf und sprach einen Segen über sie – Worte voller Weisheit und Liebe.
Als Joseph seine beiden Söhne, Ephraim und Manasse, an das Bett führte, lächelte Jakob. „Kommt näher, meine Enkel“, sagte er. „Gott hat euch für etwas Großes bestimmt. Ihr seid nicht nur Teil dieses Landes. Euer Volk wird wachsen und ihr sollt zu den Stämmen Israels gehören.“
Zuletzt blickte Jakob seine Söhne an und sprach mit fester Stimme: „Begrabt mich nicht hier in Ägypten. Ich möchte bei meinen Vätern ruhen – in dem Land, das Gott uns verheißen hat.“
Die Söhne nickten und versprachen es. In ihren Herzen nahmen sie sich fest vor: Wir werden Vaters letzten Wunsch erfüllen. Liebevoll verabschiedeten sie sich von ihm und blieben still an seinem Bett sitzen.
Der Abschied und die Beerdigung in Kanaan
Nach Jakobs Tod machten sich Joseph und seine Brüder mit vielen Menschen auf den langen Weg zurück nach Kanaan, um ihren Vater dort zu beerdigen. Es war ein stiller, trauriger Zug, der durch das Land zog – eine große Trauergemeinschaft, die Jakob sehr liebte und achtete. Sogar viele Ägypter begleiteten die Familie, denn Jakob war ein weiser und respektierter Mann gewesen.
Sie kamen an eine besondere Höhle, die Höhle von Machpela. Diese Höhle war etwas ganz Besonderes, denn dort waren auch schon Jakobs Großvater Abraham und sein Vater Isaak begraben. Es war wie ein Zuhause für ihre Familie, das sie über viele Generationen verband.
Behutsam legten sie Jakob in die Höhle, und die Brüder standen schweigend um sein Grab. In diesem Moment fühlten sie: Ein großes Kapitel war zu Ende – aber zugleich wussten sie, dass Gottes Geschichte mit ihrer Familie weiterging.
Die Angst der Brüder
Auf dem Rückweg nach Ägypten herrschte jedoch eine nachdenkliche Stille. Die Brüder waren unruhig und machten sich Sorgen. „Was, wenn Joseph nur unserem Vater zuliebe freundlich zu uns war? Jetzt, wo er nicht mehr lebt, könnte er sich doch an uns rächen!“, sprach einer ängstlich.
Sie wagten es nicht, Joseph direkt zu begegnen, sondern schickten ihm eine Botschaft.
„Unser Vater bat uns, dir zu sagen: Vergib deinen Brüdern die Schuld, die sie dir angetan haben.“ Als Joseph die Nachricht las, stiegen ihm die Tränen in die Augen. Kurz darauf traten die Brüder selbst vor ihn, warfen sich nieder und sagten: „Siehe, wir sind deine Knechte.“
Doch Joseph schüttelte den Kopf und half ihnen auf. „Fürchtet euch nicht. Stehe ich etwa an Gottes Stelle? Ihr dachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott hat es zum Guten gewendet. Er hat mich gesandt, um viele Leben zu retten.“
Die Brüder sahen ihn voller Erleichterung und Dankbarkeit an. Zum ersten Mal konnten sie wieder frei atmen — und ihre Herzen fühlten sich leicht wie lange nicht mehr.
Josephs letzte Worte
Joseph durfte noch viele glückliche Jahre in Ägypten erleben. Er sah seine Kinder und Enkelkinder aufwachsen. Im ganzen Land wurde er geachtet, denn er war klug und stets freundlich zu allen. Doch in seinem Herzen bewahrte er Gottes großes Versprechen: Eines Tages würden seine Nachkommen in das Land Kanaan zurückkehren.
Als Joseph spürte, dass seine Zeit gekommen war, ließ er seine Brüder und die ganze Familie zu sich rufen. Mit fester Stimme sagte er: „Gott wird euch eines Tages aus Ägypten führen. Und wenn das geschieht, dann nehmt meinen Sarg mit und bringt ihn in das Land unserer Väter.“ Die Familie versprach, seinen Wunsch zu erfüllen.
Dann sprach Joseph noch einen letzten Segen für seine Familie. Er starb im Alter von 110 Jahren. Sein Körper wurde einbalsamiert und in einem Sarg in Ägypten aufbewahrt — gut verwahrt, bis der Tag kam, an dem Gott seine Familie heimführen würde. Dann sollte Joseph mit ihnen ziehen, zurück in das Land der Verheißung.
Die Hoffnung lebt weiter
Viele Jahre vergingen. Aus Josephs kleiner Familie war ein großes Volk geworden – die Kinder, Enkel und Urenkel von Jakob, Josephs Vater. So viele Menschen waren es inzwischen, dass sie nun das Volk Israel genannt wurden.
Sie lebten im fruchtbaren Land Gosen in Ägypten und wurden immer zahlreicher. Auch wenn später schwere Zeiten auf sie warteten, trugen sie Josephs Botschaft tief in ihren Herzen: Gott hat für jeden von uns einen Weg vorbereitet – selbst wenn es manchmal dunkel und schwer erscheint.
Joseph hatte ihnen ein besonderes Versprechen mitgegeben: „Eines Tages wird Gott euch aus Ägypten befreien. Und dann nehmt meinen Sarg mit in das Land unserer Väter.“
So endet die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern – doch die Hoffnung auf Gottes treue Führung und seine guten Pläne blieb lebendig in ihren Herzen. Die Geschichte zeigt uns, dass Gott auch in schwierigen Zeiten bei uns ist, uns führt und niemals vergisst.
Auch wenn der Weg manchmal steinig und voller Prüfungen ist, dürfen wir darauf vertrauen: Gott hat einen guten Plan für jeden von uns. Er geht mit uns – heute, morgen und alle Tage unseres Lebens.