Wenn die Sonne über dem Tempel aufgeht
Es ist früh am Morgen in Jerusalem. Die ersten Sonnenstrahlen klettern über den Ölberg und glitzern auf den goldenen Mauern des Tempels. Im großen Vorhof stehen zwei hohe Säulen, an denen beim Laubhüttenfest riesige Lampen hingen. Abends, wenn sie brannten, wurde der ganze Platz hell und die Menschen sangen und tanzten vor Freude. Diese Lichter sollten an die Feuersäule erinnern, die Israel in der Wüste führte – und sie zeigten auf den, der kommen sollte: den Messias.
Mitten hier steht Jesus. Er zeigt auf das warme Morgenlicht und sagt einen Satz, der bis heute leuchtet:
„Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis gehen, sondern das Licht des Lebens haben.“
Das klingt wie eine Einladung und ein Versprechen zugleich. Jesus meint: „Wenn ihr bei mir bleibt, werde ich euch zeigen, was wahr und gut ist. Ich bringe Licht in euer Herz, in eure Fragen, in eure Angst.“
Licht bedeutet Nähe Gottes
In der Bibel ist Licht immer ein Zeichen dafür, dass Gott da ist. Am Anfang schuf Gott Licht aus Finsternis. In der Wüste leitete er sein Volk mit einer Wolkensäule am Tag und einer Feuersäule bei Nacht. Auf dem Berg Sinai leuchtete seine Herrlichkeit, und im Tempel glühte das Licht über dem Gnadenstuhl. Als Jesus geboren wurde, strahlte der Himmel über Bethlehem.
Wenn Jesus also sagt: „Ich bin das Licht der Welt“, zeigt er: Gott ist uns ganz nahe. Er ist der, von dem Sonne, Mond und Sterne ihr Leuchten haben – und er will, dass auch in unseren Herzen ein helles, freundliches Licht angeht. So wie Blumen sich der Sonne zuwenden, damit sie wachsen, so dürfen wir uns Jesus zuwenden, damit unser Inneres hell und lebendig wird.
„Wer bist du denn?“
Manche Gelehrte tun so, als verstünden sie Jesu Worte nicht. „Wer bist du denn?“, fragen sie spitz. Sie hoffen, ihn in eine Falle zu locken. Jesus antwortet ruhig: „Ich sage euch die Wahrheit, die ich vom Vater gehört habe. Ich tue, was ihm gefällt.“
Einige Zuhörer spüren: Das stimmt. Sie fühlen sich zu Jesus hingezogen. Zu ihnen sagt er: „Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger; ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“
Frei? Die Stolzen rufen: „Wir sind Abrahams Kinder! Wir waren nie Sklaven!“ Jesus sieht ihre harten Gesichter, die voller Rachepläne sind, und erklärt traurig: „Wer Sünde tut, ist der Sünde Knecht.“
Freiheit heißt nicht: „Ich mache, was ich will.“ Echte Freiheit ist: „Ich kann das Gute tun.“ Das schafft Jesus, das Licht: Er löst die Fesseln der Sünde und schenkt ein neues Wollen.
Kinder Abrahams – aber wie?
Die Männer rühmen sich: „Wir stammen von Abraham!“ Jesus antwortet: „Wenn ihr Abrahams Kinder wäret, würdet ihr auch so handeln wie er.“ Abraham vertraute Gott, liebte die Wahrheit und freute sich auf den Retter. Wer aber Lüge liebt und Böses plant, zeigt, welchem „Vater“ er wirklich ähnelt. Das ist hart zu hören – doch Jesus sagt es, damit die Herzen aufwachen.
Dann erzählt er etwas Wunderbares: „Abraham jubelte, dass er meinen Tag sehen sollte; er sah ihn und freute sich.“
Wie konnte Abraham, der so lange vorher lebte, Jesu Tag sehen? Als Abraham seinen Sohn Isaak fast opfern musste und Gott selbst ein Ersatzopfer schenkte, verstand er: Eines Tages würde Gott selbst seinen Sohn geben – aus Liebe zur Welt. Abrahams Herz sah schon damals auf Jesus.
Der Name, der immer ist
Die Gelehrten spotten: „Du bist noch nicht fünfzig und willst Abraham gesehen haben?“
Jesus antwortet feierlich: „Ehe Abraham war, bin ich.“
Das ist Gottes Name, den Mose am Dornbusch hörte: Ich BIN – der ewig Gegenwärtige. Jesus nimmt diesen Namen für sich in Anspruch. Er sagt damit: „Ich gehöre zu Gott. Ich war da, bevor alles begann. Ich bin der, der war und ist und kommt.“ Das Licht leuchtet heller – und einige halten sich die Augen zu. Sie heben Steine auf. Doch Jesus geht hindurch und verlässt den Hof. Das Licht lässt sich nicht auslöschen.
Ein Mann, der nie gesehen hat
Beim Hinausgehen sieht Jesus einen Mann, der von Geburt an blind ist. Die Jünger fragen: „Wer hat gesündigt – er oder seine Eltern?“
Jesus schüttelt den Kopf: „Weder er noch seine Eltern. An ihm sollen Gottes Werke sichtbar werden.“
Er kniet sich hin, mischt mit Speichel ein wenig Erde zu Lehm, streicht sie dem Mann auf die Augen und sagt: „Geh zum Teich Siloah und wasch dich.“ Der Mann tastet sich hin, beugt sich zum Wasser, wäscht – und öffnet die Augen. Farben! Himmel! Gesichter! Zum ersten Mal sieht er die Welt. Licht hat seine Augen berührt – und sein Herz.
„Ich bin’s!“
Die Nachbarn staunen: „Ist das nicht der, der immer bettelte?“ „Er sieht nur ähnlich aus“, meinen einige.
Der Mann lächelt: „Ich bin’s.“ Und er erzählt: „Ein Mann namens Jesus machte Lehm, strich ihn mir auf die Augen und sagte: ‚Wasch dich!‘ Ich tat es – jetzt sehe ich!“
„Wo ist er?“ – „Ich weiß es nicht.“
Sie bringen ihn zu den Pharisäern. Man fragt ihn noch einmal. Einige sagen streng: „Dieser Mensch kann nicht von Gott sein, er hält den Sabbat nicht.“ Andere antworten: „Wie kann ein Sünder solche Zeichen tun?“ Es gibt Streit.
Mut gegenüber den Starken
Man ruft die Eltern. Sie fürchten den Bann der Synagoge und weichen aus: „Er ist unser Sohn und war blind. Wie er jetzt sieht, wissen wir nicht. Fragt ihn selbst.“
Wieder steht der Mann vor den strengen Richtern. „Gib Gott die Ehre! Dieser Jesus ist ein Sünder“, drängen sie.
Der Mann bleibt schlicht und stark: „Ob er ein Sünder ist, weiß ich nicht. Eins weiß ich: Ich war blind – jetzt sehe ich.“
Man bohrt weiter. Da antwortet er mit klarem Verstand: „So etwas hat es noch nie gegeben, dass jemand einem Blindgeborenen die Augen öffnet. Wenn dieser Mann nicht von Gott wäre, könnte er das nicht.“
Das trifft. Sie schimpfen: „Du bist ganz in Sünden geboren – willst du uns belehren?“ Und sie werfen ihn hinaus.
Doch draußen wartet schon der, der ihn fand, bevor er sehen konnte.
Licht im Gesicht und im Herzen
Jesus sucht den Mann und fragt sanft: „Glaubst du an den Menschensohn?“
„Wer ist das, Herr, damit ich an ihn glaube?“
„Du hast ihn gesehen. Es ist der, der mit dir redet.“
Der Mann fällt vor ihm nieder: „Ich glaube, Herr.“
Jetzt sieht er nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Herzen. Das ist das größte Wunder des Lichts: Es macht die Seele hell und frei.
Sehen und nicht sehen
Einige Pharisäer haben das Gespräch mitgehört. Jesus sagt: „Ich bin in diese Welt gekommen, damit die Blinden sehen und die Sehenden blind werden.“
Das heißt nicht, dass Gott Menschen blind machen will. Es bedeutet: Wer seine Not zugibt, empfängt Hilfe; wer meint, alles zu wissen, verschließt sich vor dem Licht. „Wärt ihr blind“, erklärt Jesus, „hättet ihr keine Schuld. Jetzt aber sagt ihr: ‚Wir sehen‘ – darum bleibt eure Sünde.“
Licht kann man annehmen – oder man kann die Augen zukneifen. Doch wer sie öffnet, merkt: Jesus zeigt den Weg, räumt Stolpersteine weg und füllt das Herz mit Mut.
Was wir daraus lernen
Jesus ist das Licht. Er macht das Dunkle hell: in unseren Gedanken, Gefühlen und Entscheidungen.
Wahrheit macht frei. Nicht „ich darf alles“, sondern „ich kann das Gute tun“.
Glauben heißt Vertrauen. Der Blindgeborene tat, was Jesus sagte – und sah.
Echte Kindschaft erkennt man am Tun. Wer zu Abraham gehört, vertraut Gott wie Abraham.
Demut sieht besser. Wer seine Not zugibt, bekommt Hilfe. Wer meint, alles zu wissen, übersieht das Wichtigste.
Kleiner Impuls für heute
Wenn du unsicher bist oder dich fürchtest: Sag Jesus ehrlich, was los ist. Stell dir vor, wie sein freundliches Licht deine Angst beleuchtet, bis sie kleiner wird. Bitte ihn: „Mach mein Herz hell, damit ich das Gute sehe und tue.“ Er liebt dieses Gebet.