Ein kleiner Junge lernt eine große Lektion
In einem kleinen Dorf in Israel lebte ein Junge namens David. Er war nicht der berühmte König David, sondern ein ganz gewöhnlicher Junge, dessen Familie ein kleines Stück Land besaß. Jeden Morgen half er seinem Vater bei der Arbeit auf dem Feld - Weizen säen, Trauben ernten, die Schafe hüten.
Eines Tages fragte David seinen Vater: „Warum geben wir immer einen Teil unserer Ernte weg? Könnten wir nicht alles für uns behalten? Dann hätten wir mehr zu essen und könnten uns schönere Kleider kaufen!"
Sein Vater setzte sich unter den großen Olivenbaum vor ihrem Haus und winkte David zu sich. „Komm her, mein Sohn. Ich erzähle dir eine Geschichte, die schon dein Urgroßvater von seinem Urgroßvater gehört hat."
Die Geschichte vom Zehnten
„Weißt du noch, wie Abraham den geheimnisvollen Priester Melchisedek traf?", begann der Vater. „Abraham gab ihm den zehnten Teil von allem, was er besaß. Und unser Stammvater Jakob? Als er auf der Flucht war und von der Himmelsleiter träumte, versprach er Gott: ‚Von allem, was du mir gibst, will ich dir den zehnten Teil zurückgeben.'"
David hörte aufmerksam zu. „Aber warum, Vater?"
„Weil sie verstanden hatten, was viele Menschen vergessen: Alles gehört eigentlich Gott. Er gibt uns die Sonne, die unsere Pflanzen wachsen lässt. Er schickt den Regen, der unsere Felder bewässert. Er gibt uns die Kraft, zu arbeiten. Wir sind nur seine Verwalter."
Der Vater zeigte auf die Felder um sie herum. „Siehst du das alles? Die grünen Hügel, die Olivenbäume, die Weinreben? Gott sagt: ‚Alles Wild im Walde ist mein und die Tiere auf den Bergen. Mein ist das Silber, und mein ist das Gold.' Wenn er uns erlaubt, neun Zehntel zu behalten, ist das nicht großzügig?"
Wie das Teilen funktionierte
David erfuhr, dass das System des Teilens viel komplizierter war, als er gedacht hatte. Es ging nicht nur um den Zehnten.
„Zuerst", erklärte sein Vater, „bringen wir die allerersten Früchte unserer Ernte zum Heiligtum. Die erste Wolle von unseren Schafen, das erste Korn beim Dreschen, die ersten Trauben bei der Weinlese. Das nennt man Erstlingsfrüchte."
„Und dann?"
„Dann kommt der Zehnte - ein Zehntel von allem, was übrig ist. Das ist für die Leviten, die im Heiligtum arbeiten. Sie haben kein eigenes Land, also müssen wir sie versorgen."
„Ist das alles?"
Der Vater lächelte. „Oh nein! Bei den großen Festen bringen wir zusätzliche Opfer. Wenn wir Gott für etwas Besonderes danken wollen, bringen wir Dankopfer. Wenn wir etwas falsch gemacht haben, bringen wir Sündopfer. Und dann gibt es noch die Gaben für die Armen."
David rechnete im Kopf. „Das ist ja fast ein Viertel von allem, was wir haben!"
„Genau", nickte sein Vater. „Und weißt du was? Wir sind trotzdem nicht arm geworden. Im Gegenteil!"
Die Geschichte von Haggai
„Lass mich dir erzählen, was passiert, wenn Menschen vergessen zu teilen", sagte der Vater und seine Stimme wurde ernst.
„Nach der Rückkehr aus Babylon fingen unsere Vorfahren an, den Tempel wieder aufzubauen. Aber dann wurde es schwierig. Die Feinde machten Probleme, es kam eine Dürre, und die Menschen wurden entmutigt."
David stellte sich die trockenen Felder und die hungrigen Familien vor.
„Was machten sie?", fragte der Vater. „Sie hörten auf, am Tempel zu bauen, und kümmerten sich nur noch um ihre eigenen Häuser. Sie dachten: ‚Wir haben nicht genug für uns selbst, wie können wir da noch etwas für Gott geben?'"
„Und dann?"
„Dann wurde alles noch schlimmer! Sie säten viel, aber ernteten wenig. Sie aßen, wurden aber nicht satt. Sie tranken, blieben aber durstig. Das Geld, das sie verdienten, verschwand wie durch Löcher in ihren Taschen."
David schauderte. Das klang wie ein Fluch.
„Der Prophet Haggai erklärte ihnen, warum das passierte", fuhr der Vater fort. „Gott sagte durch ihn: ‚Ihr sorgt euch um eure schönen Häuser, aber mein Haus liegt in Trümmern. Deshalb halte ich meinen Segen zurück.'"
Das Wunder des Gebens
„Aber die Geschichte hat ein gutes Ende", lächelte der Vater. „Als die Menschen wieder anfingen, den Tempel zu bauen und ihre Gaben zu bringen, änderte sich alles. Gott versprach ihnen: ‚Von diesem Tag an will ich euch segnen.'"
David dachte nach. „Aber wie kann das sein? Wenn wir weniger für uns behalten, müssten wir doch ärmer werden!"
„Das ist das Geheimnis des Teilens", sagte sein Vater geheimnisvoll. „Gott hat versprochen: ‚Bringt den ganzen Zehnten in mein Vorratshaus, und prüft mich damit! Ich werde euch die Fenster des Himmels öffnen und so viel Segen herabschütten, dass ihr ihn nicht fassen könnt.'"
Er zeigte auf ihre Felder. „Sieh doch selbst! Haben wir je Hunger gelitten? Sind unsere Weinreben je verdorrt? Haben Schädlinge unsere Ernte zerstört? Nein! Gott hat sein Versprechen gehalten."
Die Zeremonie der Erstlingsfrüchte
Ein paar Wochen später war es soweit. Die ersten Trauben waren reif, das erste Korn war gedroschen. David durfte seinen Vater zum Heiligtum begleiten, um die Erstlingsfrüchte zu bringen.
Der Weg war weit, aber David war aufgeregt. In einem schönen Korb trugen sie die besten Früchte ihrer Ernte. Andere Familien waren auch unterwegs, alle mit ähnlichen Körben.
Am Heiligtum angekommen, warteten sie in einer langen Schlange. Als sie an der Reihe waren, trat der Priester vor sie hin. Davids Vater hob den Korb hoch und sprach die alten Worte, die schon seine Vorfahren gesprochen hatten:
„Mein Vater war ein wandernder Aramäer, dem Umkommen nahe. Er zog hinab nach Ägypten und lebte dort als Fremder mit wenigen Leuten. Aber dort wurde er zu einem großen, starken und zahlreichen Volk."
David hörte gebannt zu, als sein Vater die ganze Geschichte erzählte - von der Sklaverei in Ägypten, von Gottes mächtigen Wundern, von der Wüstenwanderung und der Eroberung des verheißenen Landes.
„Und nun bringe ich die Erstlinge der Früchte des Landes, das du, Herr, mir gegeben hast!"
Eine neue Sicht auf das Leben
Auf dem Heimweg war David nachdenklich. „Vater", sagte er schließlich, „ich verstehe es jetzt. Wir geben Gott nicht etwas von unserem Besitz. Wir geben ihm etwas von seinem Besitz zurück."
„Genau!", strahlte sein Vater. „Und weißt du, was das Schönste daran ist?"
„Was?"
„Gott braucht unser Geld nicht. Er könnte alles selbst machen. Aber er lässt uns mithelfen bei seinem Werk. Durch unsere Gaben können die Priester ihren Dienst tun. Die Armen bekommen Hilfe. Das Heiligtum wird instand gehalten. Wir dürfen Gottes Mitarbeiter sein!"
David nickte begeistert. Das war wirklich etwas Besonderes!
Die Lehre für heute
Als sie zu Hause ankamen, setzte sich David wieder unter den Olivenbaum. Er dachte an all die Geschichten, die er gehört hatte. An Abraham und Jakob. An die Menschen zur Zeit Haggais. An die Zeremonie im Heiligtum.
„Vater", sagte er, „ich möchte auch lernen, ein guter Verwalter von Gottes Gaben zu sein."
Sein Vater legte ihm die Hand auf die Schulter. „Das freut mich, mein Sohn. Denk immer daran: Gott liebt einen fröhlichen Geber. Wenn wir mit dankbarem Herzen geben, nicht aus Zwang oder mit schlechter Laune, dann segnet er uns."
„Und er segnet uns nicht nur mit Geld und Besitz", fügte er hinzu. „Er segnet uns mit Freude, mit Frieden, mit dem guten Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Das ist viel wertvoller als alles Gold der Welt."
Das Geheimnis des glücklichen Lebens
Jahre später, als David selbst eine Familie hatte, erzählte er seinen Kindern dieselben Geschichten. Er hatte gelernt, dass das Geheimnis eines glücklichen Lebens nicht darin besteht, alles für sich zu behalten, sondern darin, großzügig zu teilen.
„Einer teilt reichlich aus und hat immer mehr", hatte der weise König Salomo gesagt. „Ein anderer spart, wo er nicht sollte, und wird doch ärmer."
Das war das Geheimnis des Teilens: Wer gibt, empfängt. Wer teilt, wird beschenkt. Wer Gott an die erste Stelle setzt, dem gibt Gott alles, was er braucht.
Und so lebte David ein zufriedenes, gesegnetes Leben - nicht weil er viel besaß, sondern weil er verstanden hatte, dass alles ein Geschenk Gottes war und dass Teilen glücklicher macht als Behalten.
Die Lehre, die der kleine David gelernt hatte, gilt auch heute noch: Gott ist großzügig zu uns, und er freut sich, wenn wir großzügig zu anderen sind. Das ist das Geheimnis des Teilens - und das Geheimnis eines wirklich reichen Lebens.